Zum Inhalt springen

Die spirituelle Bedeutung des Herbstes

Der Herbst verändert nicht nur die Natur, sondern wirkt sich auch auf die Stimmung aus. Wenn die Tage kürzer werden und die Blätter fallen, ist auch eine Zeit der Innenschau gekommen. So mancher leidet unter dem Verlust von Licht, Wärme und satten Grüntönen. Der Herbst macht mit uns Menschen einiges, weil er eine Zeit der Wandlung und des Nach-Innen-Gehens ist. In der Natur ziehen sich die Kräfte zurück und es beginnt ein Absterben. Der Herbst ist auch eine Zeit des Sammelns, der Ernte und der Dankbarkeit dafür. Der Wiener Psychiater Viktor Frankl (1905 – 1997) schrieb: «Die Menschen machen den Fehler, dass sie immer die abgeernteten Stoppelfelder der Vergänglichkeit sehen und dabei übersehen sie die vollen Scheunen der Vergangenheit.» Während die Menschen den reifen Feldern nachtrauern, liegt in den Scheunen die Ernte ihres Schaffens – ihre Kraftreserve für den Herbst und Winter. Viele sind im Herbst vermehrt anfällig für Depressionen. Wichtig ist, unseren Blick auch auf die vollen Scheunen und darauf zu werfen, dass wir getragen werden. Im schönen Gedicht «Herbst» von Rainer Maria Rilke (1875 – 1926) heisst es: «Die Blätter fallen…Wir alle fallen. Diese Hand da fällt… Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.» Solche Gedanken können uns Halt und Geborgenheit geben.

Drinnen sich es bequem machen und Hinausgehen – beides darf sein. Ein gutes Buch lesen. Sich Seelennahrung geben. Aber auch draussen die spärlich werdenden Sonnenstrahlen geniessen und ebenso den Stürmen des Herbstes trotzen. Das stärkt die innere und die äussere Widerstandskraft und wir spüren, dass die Naturgewalten uns herausfordern. Der Wind kann uns nicht umblasen, wenn wir verwurzelt sind – ein Sinnbild für das Leben. Uns Zeitgeschenke machen. Nicht einfach in den Tag hineinstolpern. Zwischendurch kurz innehalten, durchatmen und dadurch den Tag bewusster gestalten. Am Abend sich kurz auf den Tag zurückbesinnen. Achtsamkeit lernen durch Atemübung: Ich setze mich hin und nehme wahr, wie mein Zwerchfell sich hebt und senkt, ohne dass ich weiter etwas machen muss. Man kann das auch mit einem Gebet kombinieren, z.B: «Heiliger Geist» beim Einatmen sprechen und «wirke in mir» beim Ausatmen. Dies geht liegend, sitzend, stehend und laufend.

Eine alte Weisheit sagt: «Wenn du dich wirklich auf die Suche machst, dann kommt dir das Gesuchte entgegen.» Wenn ich mich öffne und meiner Sehnsucht nach Gott Raum gebe – gerade auch im Herbst –, kommt etwas zurück, vielleicht auf leise Sohlen.

Ich wünsche Ihnen einen geruhsamen Herbst, auch als spirituelle Auftankstelle!

Guido Ducret, Pfarreiseelsorger